August 2014: Pura Vida Kakaofarm (Bahia, Brasilien)
Vier Wochen Großstadtleben in Rio sind genug! Ich fahre aufs Land! Und wenn es 26 Stunden dauert 🙂 Denn nahe Itacaré im brasilianischen Bundesstaat Bahia winkt das Paradies: Die Fazenda (Farm) Pura Vida. Ohne Strom und Internet, warnen die Bewohner auf der Website, wo man solche Freiwilligen-Projekte findet (www.workaway.info). Doch gleichzeitig soll es ein magisch schöner Ort sein, wo man bei der Produktion von Bio-Kakao helfen kann.
Da hin kommt man nur mit einem Bus, der 3x am Tag eine Huckelpiste landeinwärts fährt, und dann mit einem beherzten Schritt ins Einbaum (!!!), um den etwa 200m breiten Rio Cortensas zu überqueren.
In den nächsten Tagen fahren wir – die einen todesmutig, die anderen geübt – ein paar Mal im Einbaum abends über den mondbeleuchteten Fluss ins Dorf und feiern mit den Einheimischen in der Tres Amigos Bar, wo das Bier plörrig, der Wein zu süß und die Tütensnacks zum Wiederausspucken schmecken, aber immer eine gesellige Atmosphäre herrscht. Kann natürlich daran liegen, dass der Besitzer und seine Frau 28 Kinder haben, keins davon mehr klein, und das Lokal so immer einen Grundstock an Besuchern hat. Oder es gibt einen Geburtstag zu feiern: Wir singen für die Kakaoverarbeiterin Claudia „Happy Birthday“ auf allen Sprachen, die wir kennen, und der Barde unter uns spielt auf der Gitarre dazu.
Auch mein Geburtstag: einmalig! Mit wunderschönem Bananenkuchen mit Kakaobohnen (beides direkt von der Farm) und einer Kerze für meinen Wunsch.
Vorher geht es das erste Mal in den Kakaowald. Wir bestücken uns mit je einem Korb, den man sich auf die Schulter hängen kann, und einem Picker. Die Kakaofrüchte leuchten uns schön gelb von Weitem an und wir schleppen schwere dreiviertel volle Körbe bis zu den großen Haufen. Unser lebendiges Lokal-Radio Boca Mole (weicher Mund, er hat keine Zähne mehr) und sein Team singen beim Pflücken lebensfrohe Lieder, von denen wir meist nur „Alegria de meu coraçaoooo“ (Freude meines Heeeerzens) verstehen.
Neben der Kakao-Ernte machen wir uns im Permakultur-Garten zu schaffen. Ich lerne die Salatblättchen, Senfblätter und Minze unterscheiden und verwende sie gleich fürs Mittag. Wir pflanzen u.a. Couve-Salat, dessen Triebe sich einfach ausreißen und woanders wieder reinstecken lassen. Säen Stevia. Ich bemale mit weißer Farbe Holzschilder, auf denen je auf einer Seite englisch, auf der anderen Seite portugiesisch der Name eines Gartengewächs steht. Auch beim Nachbarn gibt es was zu Lernen. Bei einem Besuch zeigt er uns seine Feldfrüchte und wir dürfen eine Menge probieren und mitnehmen. Zuckerrohr, Bananen, Papayas, Mandioka. Letzteres fritieren wir gleich zum Mittag, dazu gibt’s Gola aus dem eigenen Garten, eine ziemlich bittere auberginenartige Frucht.
Das Leben spielt sich größtenteils am Haupthaus und der zugehörigen Küche ab. Hier wird an einer Feuerstelle gekocht, in einem mosaikverzierten Halbrund gegessen und an der großen Spüle mit kaltem Wasser und Kokosseife abgespült.
Die Komposttoilette ist etwas weiter weg, aber weit weniger makaber als ich das befürchtet habe – genau genommen sehr schön gemacht. Es gibt einen kleinen Trichter mit Schlauch, der zu einem Urinsammelkanister führt. Im hinteren Teil fallen größere Geschäfte einfach auf einen von außen nicht erkennbaren Haufen, wo sie mit drei Handvoll Sägespänen, die säckeweise neben dem Klo stehen, bedeckt werden. Klopapier darf da auch einfach mit rein, oder Blätter des “Klopapierbaums”, der direkt am Eingang steht. Draußen ein kleines Waschbecken mit fließend Wasser, Seife und einem Kunsthandwerkspiegel. Noch dazu riecht es im Gegensatz zu normalen Klos null. Was will man mehr?
Ab und zu stellen wir Schokolade her, indem wir Kakaobohnen mahlen, mit Leite Condensado (Kondensmilch), Zucker und beliebigen weiteren Zutaten mischen. Ein ander Mal wird im Dorf ein Rind geschlachtet; wir holen uns ein paar Teile und laden alle Nachbarn zum Churasco (Grillfest) ein.
Am freien Sonntag geht’s in den Dschungel! Wir wandern im Wald sowie über Felder, Busch und Kakaoplantagen. Sehen riesige alte und wertvolle Tropenbäume. Trinken zwischendurch immer mal von einer Kakaofrucht. Und entdecken einen noch allen unbekannten Wasserfall.
Am Fluss zieht uns ein Floß aus vier Baumstämmen in seinen Bann. Wir paddeln damit um die kleinen Inseln und fühlen uns wie Humboldt und seine Crew.
Später lernen wir, was guten von schlechtem Kakao unterscheidet. Da gibt es nämlich riesige Unterschiede. Und die Industrie nimmt, ehrlich gesagt, jeden Mist! Doch unser Franzose Haroldo will für seinen Cacao Orgasmico nur das Beste. Er nimmt uns mit in den Kakaowald zu den Haufen mit frisch geernteten Früchten. Dort sortieren wir die guten von den kranken oder gammeligen aus (derer es leider viele gibt). Die guten öffnet Heroldo mit geschicktem Manchetenhieb (wir haben es nach ca. 50 Versuchen auch ganz gut raus), ein weiterer Helfer trennt die Kakaobohnen in ihrem saftigen Weiß von der Außenschale und dem Hauptstrang, an dem alle hängen.
Schließlich zeigt uns Haroldo die Kakaoverarbeitung. Die Bohnen aus den Früchten werden gewaschen und so nach und nach vom Fruchtfleisch getrennt, ein paar Tage fermentiert und wieder gewaschen, und schließlich auf dem großen Kakao-Dach der Farm mit Hilfe der Sonne und einem 24-Stunden-Feuer getrocknet.
Frisch geröstete Bohnen befreien wir von ihrer Schale und sortieren sie in ganze und zerfallene, denn nur die Ganzen ergeben einen hochwertigen Cacau Caramelizado (karamelisierte Kakao-Bohnen).
Und wie in einer kleinen Fabrik: Dosen mit Etiketten bekleben und Haltbarkeitsdatum drauf schreiben. Zur Krönung: Ab in die Küche, karamellisieren. Wenn sie noch warm sind, auf einer Glasplatte trennen, damit sie nicht zusammenkleben. Bei diesem Prozessschritt muss mit großen Verlusten gerechnet werden, wenn Freiwillige mitarbeiten – vor allem die Naschkatze Edouard. Am Ende die erkalteten Karamellbohnen in die Dosen packen und – denn schon hat der Geruch neugierige Nachbarn bzw. deren Besucher angelockt – für 10 Rs (3€) die Packung verkaufen.
In meiner Hängematten-Freizeit lese ich das Buch „The Permaculture Design Handbook„, ein dicker Wälzer und Standardwerk von Bill Mollison. Ich bin fasziniert von der Philosophie und nehme mir einige Punkte für eine ab sofort nachhaltige Wirtschaftsweise zu Herzen [ich übersetze frei die bedeutungsschwangeren Stellen]:
Ein Grundsatz für Verantwortung (um Macht abzugeben):
Die Rolle von nutzbringender Autorität ist es, dem Leben und den Leuten ihre Funktion und Verantwortung zurückzugeben. Wenn das gelingt, ist keine weitere Autorität nötig. Die Rolle von erfolgreichem Design ist es, ein sich selbst regelndes System zu schaffen.
Eine grundsätzliche Frage kann auf zwei verschiedene Arten gestellt werden:
– Was bekomme ich von diesem Land oder dieser Person?
oder
– Was kann mir dieses Land oder diese Mensch geben, wenn ich mit ihm kooperiere?
Von diesen zwei Herangehensweisen führt die erste zu Krieg und Verschwendung, die zweite zu Frieden und Fülle. Die meisten Konflikte gründen in der Art, wie Fragen gestellt werden und nicht in ihren Antworten.
Der ideale Weg seine Zeit zu verwenden liegt in der Perfektion der Lebensausdrücke; darin, sein Leben so gut wie möglich zu entwickeln und zu führen, und die Existenz aller Lebensformen zu fördern und zu feiern. Denn wir kommen alle vom selben Ei. Die Gesamtheit dieser Anschauung führt zu einem bedeutungsvollen täglichen Sein, in dem man jedes Quäntchen Leben als sich ewig perfektionierenden Ausdruck der Zukunft sieht.
Gärtner, Wissenschaftler, Philosophen, Poeten und Religionsanhänger begegnen sich alle in Bewunderung und Ehrerbietung für die Erde. WIR erschaffen unsere Lebensgrundlagen, jetzt und für die Zukunft.
Das hier ist der Himmel, genau hier. Das ist er.
Gib ihm alles, was Du hast.